Auf einmal 20 Prozent weniger Kunden
Deggendorf/Grafenau. „Wir werden bestraft für nachhaltiges Handeln. 300 Prozent mehr Energiekosten, 100 Prozent höhere Rohstoffpreise, die Ausgaben für Personal galoppieren uns davon. Dazu kommen sinkende Umsätze, weil die Leute vor allem bei Lebensmitteln sparen. Wir fühlen uns als die letzten Gallier.“ So schilderten regionale Unternehmer aus der Lebensmittelbranche dem Bundestagsabgeordneten Muhanad Al-Halak ihre Situation.
Sorgen des Handwerks werden „nicht gehört“
Gesprächspartner für den FDP-Politiker aus Grafenau waren der Biobäcker Hans-Peter Wagner aus Ruderting, Obermeister der Bäckerinnung Passau, Rosemarie Schreiner aus Haus im Wald, die mit ihrem Mann Klaus eine Wellnessbäckerei und einen Edeka-Laden betreibt, der Metzger Simon Pleintinger aus Schönberg und Michael Klampfl, Bürgermeister der Gemeinde Außernzell im Landkreis Deggendorf, Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes, und nachhaltig wirtschaftender Nebenerwerbslandwirt. Al-Halak hatte sie in das Landgasthaus Zwickl in Deggendorf eingeladen, um zu erfahren, welche Sorgen sie derzeit umtreiben und wie ihnen geholfen werden kann, heißt es in einer Mitteilung.
„Jetzt mal ehrlich! Alle Karten auf den Tisch“, steht als Anliegen hinter der Veranstaltungsreihe von MdB Muhanad Al-Halak. In kleiner Runde will er sich Informationen von Betroffenen für seine Arbeit in Berlin holen, um dort „Lärm zu machen, damit sich etwas ändert“. Das könne er gleich beim Energiekostendämpfungsprogramm tun, das Zuschüsse für besonders energieintensive Unternehmen vorsieht, drängten Rosemarie Schreiner und Hans-Peter Wagner. Bäckereien kämen in der Liste der Antragsberechtigten nicht vor, wohl aber die Hersteller von Dauerbackwaren und Teigwaren.
Die Teiglingshersteller mit einem Marktanteil von inzwischen 70 Prozent seien dabei, traditionelle Bäckereien nicht, ärgerte sich Hans-Peter Wagner. „Diese Unterstützung muss es auch für uns geben. Sonst sperrt nicht jeden Tag eine Bäckerei zu, sondern es sind in der gleichen Zeit zehn, die dicht machen“, sorgte sich Hans-Peter Wagner. Der Verkaufspreis für eine Semmel aus einem Teigling, der irgendwo in Europa billig hergestellt werde, betrage 15 Cent, eine Bäckersemmel koste 50 Cent. Die regionalen Bäckereien könnten die gestiegenen Kosten nur zu einem kleinen Teil weitergeben, weil sonst noch mehr Kunden abwanderten. „Mit dem Krieg in der Ukraine haben wir über Nacht 20 Prozent Umsatz verloren, konnten die Preise aber nur um zehn Prozent erhöhen“, beschrieb Biobäcker Hans-Peter Wagner.
Auch Metzger Simon Pleintinger, der mit hochwertiger Ware und Transparenz vom ersten bis zum letzten Produktionsschritt wirbt, spürt den Rückgang. Die Leute würden weniger Fleisch vom Metzger essen. Metzgereien seien in dem Energiekostendämpfungsprogramm ebenfalls nicht vorgesehen; Nachbesserungen unbedingt nötig.
Rosemarie Schreiner drängte auch auf ein einfacheres Antragsverfahren: „Da geht es doch schon los. Wie sollen wir noch neben der Arbeit einen so aufwändigen Antrag mit X-Nachweisen und Belegen auf den Weg bringen? Wir kleinen Handwerkbetriebe sind der Industrie mit Scharen von Juristen haushoch unterlegen!“
Die Forderung der Unternehmer: Regionale Erzeuger und Verarbeiter bräuchten in der Energiekrise eine Priorisierung, denn schließlich versorgten sie die Menschen mit hochwertigen Lebensmitteln. „Dem Verbraucher wird gesagt, er habe im nächsten Winter beim Gas Priorität. Ob er dann auch noch Brot und Milch bekommt, ist nicht gesichert“, sagte Biobäcker Wagner. Die Sorgen des Handwerks würden nicht gehört. Die Politik kümmere sich um eine warme Stube für die Leute, nicht aber um eine warme Backstube: „Wir kommen einfach nicht vor!“
Wie sehr die Landwirte unter dem Preisdruck stöhnten, berichtete Landwirt Michael Klampfl. Alles sei teurer geworden: Futter- und Düngemittel, Sprit, Strom. Nachhaltigkeit spiele derzeit bei den Verbrauchern keine große Rolle mehr. Das merke er auch als Bürgermeister der Gemeinde Außernzell, die den Bürgern eine zentrale Hackschnitzelheizung anbieten möchte. „Es besteht aber kein Run auf diese umweltfreundliche Energieform“, zog Klampfl Bilanz.
Politik soll
keine Ängste schüren
Alle Gesprächsteilnehmer wünschten sich von der Politik eine andere Kommunikationsstrategie: Vertrauen schaffen statt Ängste schüren. Der nächste Winter werde zeigen, dass sich die Situation bewältigen lasse und nicht das Ende des Wohlstands erreicht sei. „Dann hoffen wir, dass die Kunden wieder zurückkommen. Aber erst einmal müssen wir die Monate bis dahin überstehen“, sagte Rosemarie Schreiner, die bei dem Treffen auch den Fachkräftemangel im Handwerk ansprach.
Nach monatelangem Suchen habe ihr eine Agentur einen Bäcker aus Polen vermittelt. Ein unterschriftsreifer Vertrag mit einer Bäckerin aus der Ukraine sei daran gescheitert, dass die Frau den Landkreis nicht verlassen durfte, in dem sie sich nach der Flucht aus ihrer Heimat in Deutschland angemeldet hatte.
Al-Halak dankte für die offenen Schilderungen. Seine Zusage an seine Gesprächsteilnehmer aus dem Handwerk: „Ich kann nichts versprechen, aber ich nehme die Sorgen sehr ernst und werde mich in Berlin dafür einsetzen, Unterstützer zu finden und Änderungen zu erreichen.“ − pnp